Was brauchen Kinder und Jugendliche in ambulanten oder stationären Jugendhilfeeinrichtungen? Welche Angebote sind hilfreich, damit Familien schon frühzeitig Unterstützung erhalten? Wie können so genannte „Care Leaver“ – junge Menschen, die in die Selbstständigkeit entlassen werden – besser begleitet werden? Solche und andere Fragen standen im Fokus beim zweiten Fachtag des Braunschweiger Netzwerks Kinderschutz. Unter dem Motto „Austausch fördern – Vernetzung stärken“ trafen sich Fachleute unterschiedlichster Institutionen, um Erfahrungen zu teilen, Herausforderungen aufzuzeigen und Lösungsansätze zu erarbeiten.
Rund 70 Teilnehmende, darunter Mitarbeitende des Jugendamtes und des Pflegekinderdienstes, Fachleute aus Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen sowie Schulsozialarbeiter*innen, waren bei dem Fachtag dabei. Aber auch junge Menschen, die in Jugendhilfeeinrichtungen leben oder durch Jugendhilfe begleitet werden, beteiligten sich an der Veranstaltung und brachten ihre individuellen Erfahrungen als wertvollen Input ein.
Ganz unterschiedliche Perspektiven auf die Kinder- und Jugendhilfe thematisierten die Fach-Referentinnen Dr. Anja Stiller (Leiterin des Kinderschutzzentrums Hannover), Dr. Severine Thomas (Mitarbeiterin des Instituts für Sozial- und Organisationspädagogik an der Universität Hildesheim) sowie Valeria Anselm (Autorin des Buches „Das ist (nicht) mein Zuhause“). Nach intensiven Austauschrunden und interdisziplinären Workshops sorgte Moderator Felix Maria Zeppenfeld für den roten Faden beim fokussierten Abschluss des Fachtages: der Podiumsdiskussion.
Die großen Themen der Jugendhilfe seien Ressourcenprobleme, so die Ausgangslage. Moderator Felix Maria Zeppenfeld fasste zusammen: „Es gibt zu wenig Zeit und zu wenig Geld. Aber was sind die Themen, die direkt verändert werden können?“ Mit diesem konstruktiven Fokus wurden wichtige Potenziale für die Zukunft formuliert.
Wie können niedrigschwellige, präventive Angebote für Jugendliche und deren Eltern geschaffen werden, um sie frühzeitig „aufzufangen“? Diese Frage fand schnell Antworten. „Die Schule ist der Ort, wo Kinder und Jugendliche frühzeitig abgeholt werden können“, sagte Dr. Anja Stiller. Lehrkräfte könnten für Heranwachsende eine wichtige Rolle spielen, hätten allerdings nicht die Kapazitäten. Gefragt seien daher die „angrenzenden Unterstützungsnetzwerke“. Annette Schütze (Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses) bekräftigte die Aussage mit einer Umfrage unter Jugendlichen, in der deutlich geworden sei, dass sich Heranwachsende insbesondere in der Schule eine Anlaufstelle für psychologische Unterstützung wünschen.
Für familiäre Probleme, die bereits vor dem Schuleintrittsalter auftreten, sah Stefanie Steinke (Sprecherin des Fachausschusses Hilfe zur Erziehung) Potenzial darin, die Kooperation mit Kinder- und Jugendärzten zu stärken. Denn dort gebe es bislang wenig Information zu unterstützenden Einrichtungen. Thomas Herold (Gesamtleitung Erziehungsberatungsstelle und Jugendberatung Braunschweig/Gifhorn) benannte die Erziehungs- und Familienberatung als „richtige und niedrigschwellige“ Institution. Martin Albinus (Leitung Jugendamt Braunschweig) bekräftigte, es gebe viele gute Hilfseinrichtungen in Braunschweig. Allerdings wurde deutlich, dass Vorurteile innerhalb der Gesellschaft den Zugang für Familien erschweren könne. Dirk Schröder (Leiter der Abteilung Jugend und Familie im Niedersächsischen Sozialministerium) sagte: „Wie können wir das Image des Jugendamtes verbessern? Es ist nicht die Einrichtung, die die Kinder wegnimmt, sondern die Einrichtung, die die Kinder unterstützt.“ Martin Albinus brachte die Idee ein, dass die Einrichtungen der Jugendhilfe stärker auf „Social Media“ vertreten sein müssten, um junge Menschen auch über diesen Weg zu erreichen.
Zum Thema „Care Leaver“ wurde festgehalten: Junge Menschen, die eine Jugendhilfeeinrichtung verlassen, benötigen eine Bezugsperson, die sie auf dem Weg in die Selbstständigkeit unterstützt. Bereits im Vorfeld wäre es hilfreich, wenn Kinder und Jugendliche eine „Fürsprecher-Person“ an ihrer Seite hätten. Martin Albinus sagte: „Sie befinden sich in einem Machtgefälle mit wahnsinnig vielen Erwachsenen – ein schwieriges Setting.“ Um die Bedürfnisse der „Care Leaver“ stärker im Blick zu haben, brauche es aber nicht nur eine Fürsprecher-Person, die deren Bedürfnisse vertritt, sondern auch ein „strukturelles Bewusstsein“ dafür, was es bedeutet, „Care Leaver“ zu sein, um auf dem weiteren Lebensweg Unterstützungsangebote zu schaffen. Ein gutes Beispiel dafür seien Universitäten, die dies bereits im Blick haben, so der Tenor. Wichtig sei jedoch, dass die Jugendlichen selbstbestimmt handeln können und einbezogen werden. Kommunikation und Partizipation seien essenzielle Aspekte.
Während einige Stellschrauben innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe leichter zu drehen sind, rückten strukturelle Probleme immer wieder ins Zentrum des Podiums. Annette Schütze sagte, dass „Ressourcen-Problem“ sei auch ein politisches Problem. Dirk Schröder ermunterte: „Die Jugendhilfe muss lauter werden, damit sich die Finanzierung ändert.“
Ob aufmunternde Worte zum „Lautwerden“, Austausch oder Input – nach dem zweiten Fachtag war sowohl das Feedback der Teilnehmenden als auch die Bilanz der Veranstalter mehr als positiv. Anje Wingert, mit Kollegin Carolin Koziol gemeinsam Organisatorin des Fachtages, sagte: „Die Veranstaltung lebt von der Vielzahl der eingebrachten Perspektiven. Die individuellen Erfahrungen aus dem Alltag in der Jugendhilfe machen es möglich, dass gemeinsam Ideen entwickelt werden, die als wertvolle Impulse positiv in die Zukunft strahlen.“